Hingeguckt #013 – Von der Schönheit der Nachverdichtung

Überteuerter Baugrund, Wohnungsnot, kein Platz für Neubaugebiete – keine neuen Probleme! Unsere alten mauerumgürteten Städte standen, wenn sie wachsen wollten, bisweilen vor ähnlichen Schwierigkeiten wie wir sie aus unseren Ballungszentren kennen. Damals ließ sich der Verursacher der Probleme leicht benennen: es war die Mauer. Nun könnte man klassisch fordern, die Mauer muss weg, aber das hätte die Städter ihres einzigen Schutzes beraubt und einen der wichtigsten Gründe überhaupt in die Stadt zu ziehen beseitigt. Es blieb folglich nur eine Lösung: Nachverdichtung! Ein eindrückliches Beispiel für eine solche Nachverdichtung hat in Eisenach die Jahrhunderte überdauert. Seit rund zweieinhalb Jahrhunderten erhebt sich am Johannisplatz ein Eigenheim, dessen Grundfläche gerade einmal 20 Quadratmeter beträgt. Mit seiner Breite von 2,05 Metern reduziert der Bau den Weg von Wand zu Wand im Inneren erheblich und da die Höhe von 8,50 Metern sogar Zweigeschossigkeit zulässt, kommt nicht nur der Eindruck von Großzügigkeit auf, es bietet sich sogar die Chance, eine repräsentative Fassade zu entwickeln. Diese wurde aber erst 1903 verwirklicht, als der damalige Eigentümer, der Hoteldiener und Portier Wilhelm Köhler, nach erfolgreichem Kampf gegen den geforderten Abriss, den Hofzimmermeister Voigt mit einer Verprächtigung der Hausfront im Sinne von Historismus und Jugendstil beauftragte. Die Stadt Eisenach hätte eine Beseitigung dieses „Abstandhalters“ zwischen neuen Geschäftshausfassaden eindeutig lieber gesehen, hatte doch die Eisenacher Tagespost schon drei Jahre zuvor gemutmaßt: „Hohe stattliche Gebäude werden es bald einengen. Dann wird seine winzige Erscheinung mehr Beachtung finden, als dies bisher geschah.“ Und die Prophezeiung wurde Wirklichkeit, kaum jemand schaut heute auf die beiden benachbarten Riesen, der Zwerg in der Lücke ist der Star und man muss den Bauherren der Nachbarhäuser regelrecht dankbar sein, dass sie so eindrucksvolle Messlatten geschaffen haben.

Das Haus wurde noch zu DDR-Zeiten von seinem Besitzer Klaus Trippstein mit großer Hingabe saniert und wahrscheinlich ebenso hingebungsvoll bewohnt. Man kann es heutzutage mit seiner gesamten Einrichtung sogar besichtigen.

 

Eisenach,Handtuchhaus © Thomas Huth

Angeregt von einem derart erfolgreichen Beispiel für Nachverdichtung haben wir eine Musterlösung für Frankfurt erarbeitet, deren Umsetzung auch aus stadtbildästhetischen Gründen zwingend geboten erscheint:

Frankfurt, Deutsche Bank mit Haus Großer Laubenberg: Fotomontage © Maya Tanaskovic

PS: die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner ist in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren von 34,9 auf 47,4 Quadratmeter angestiegen.