Hingeguckt #15 – Rokoko reloaded …
George Bähr, der Ratszimmermeister ohne Meisterbrief, hat mit der Dresdner Frauenkirche sicher sein bedeutendstes Werk geschaffen. Ohne Zweifel. Ein Hauptwerk des barocken Kirchenbaus war bis zum Jahr 1743 entstanden und zugleich Dresdens Silhouette um ihren markantesten Umriss bereichert. Eine gewaltige glockenförmige Kuppel mit vier Türmen als Trabanten erhebt sich seither über dem Neumarkt, dem einstigen Mittelpunkt der slawischen Siedlung Dresden, und erinnert daran, dass sich die Stadt voller Stolz als altes Zentrum des Protestantismus gegenüber den katholischen Wettinern profilieren wollte. Dass sich in der noch unvollendeten Kirche bereits fünf Jahre vor der Eröffnung bedenkliche Risse in den Kuppelgewölben zeigten, sei dem Baumeister nachgesehen – als Zimmermann war er statisch naturgemäß in anderen Materialien zuhause. Und dennoch hielt seine rissige Konstruktion der intensiven preußischen Beschießung im Siebenjährigen Krieg und dem Bombenhagel am 13. und 14. Februar 1945 stand. Respekt! Leider war aber das Steinmaterial durch die bis zu 1200 Grad heiße Flammenhölle des Stadtbrandes derart mürbe, dass die Kuppel am 15. Februar um 10 Uhr in sich zusammensackte. Übrig blieb ein Trümmerhaufen, der entgegen der Motto der DDR-Hymne, „Auferstanden aus Ruinen“, bis zum Ende des Arbeiter- und Bauernstaats, als solcher liegenblieb, 1966 versehen mit dem Etikett „Mahnmal gegen den Krieg“. Es geschah nichts bis zur Zeit der Wende als 1990 der „Ruf aus Dresden“ erscholl, ein Aufruf zum Wiederaufbau des lang vermissten Wahrzeichens. Der Ruf erreichte viele Ohren, drang von dort durch das Hirn ins Herz und öffnete so unzählige Portemonnaies, denn mit rund 115 Millionen Euro Spendengeldern war die Bausumme von 180 Millionen fast gestemmt. Bald darauf hob das große Puzzeln an, denn es sollte so viel originales Steinmaterial wie möglich verwendet werden. Am Reformationstag 2005 konnte die wiedererstandene, originalgesprenkelte Frauenkirche geweiht und ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben werden. Sechzig Jahre nach der Zerstörung hatte Dresden sein liebstes Wahrzeichen und der Protestantismus seine wohl großartigste Bauschöpfung wiedergewonnen. Aber reicht das heute noch? Im Zeitalter einer ausufernden Eventkultur lockt ein gravitätischer Barockbau allein die Menschen nicht mehr. Da braucht es schon grelle Farben, Exotik und Tiere … und das am besten in einem schwungvollen Rokokodekor als kleine ästhetische Kampfansage gegen die allzu schweren Formen des reinen Barocks. Rokoko reloaded …
Für alle die jetzt den nächsten Dresden Besuch kaum noch abwarten können, schon mal ein Hinweis, dass im Januar nächsten Jahres eine Fahrt dorthin in Planung ist. Dort wird nämlich die hochgelobte Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland.“ In unserem nächsten Mailing gibt es dazu mehr Details…