Hingeguckt #017 – „Warum ist es am Rhein so schööön …“

lautete die früher zahllose Male von Männergesangsvereinen musikalisch gestellte Frage, auf die sie im selben Lied auch gleich eine bunte Palette von Antworten gaben. Doch dazu später mehr. Schuld an dieser Schönheit sind aber nicht das tief eingeschnittene, weingesäumte Tal des Stroms, die vielen kühn auf Felsen balancierenden Ruinen oder die malerischen Bilder alter Städtchen, sondern die Romantiker. Die haben dieselbe nämlich fleißig erdichtet und wie man heute sagen würde „promoted“. Vor der Epoche der Romantiker sah man im engen Flusstal zwischen Rüdesheim und Koblenz eher einen schifffahrtstechnisch schwierigen Wasserweg und eine für die Landwirtschaft kaum nutzbare Fläche. Man hatte also einen pragmatischen Blick auf das Mittelrheintal. Dann tauchten Brentano, von Arnim, Heine, Eichendorff und Co. auf und überzogen die bittere Pille dieser unwirtlichen Gegend mit poetischem Zuckerguss, so dass man sie heute noch gerne schluckt. Wie das geht, zeigt sehr anschaulich die Karriere eines schroffen Felsens flussaufwärts von Sankt Goarshausen, der dem Rhein einen beachtlichen Bogen abnötigt und ihm zugleich die zweittiefste Stelle seines gesamten Laufs beschert. Sein Rücken bietet eindrucksvolle Blicke auf den Fluss im engen Tal, was man von mehreren Dutzenden anderen Rheinbegleitungsfelsen mit gleicher Berechtigung preisend sagen könnte. Aber nur dieser eine Felsen ist berühmt, ja weltbekannt geworden. Wie geht das? Die Romantiker wussten es. Die Attraktivität einer Landschaft ist nämlich maximal die „halbe Miete“ für Beachtung und Ruhm. Eine gute Story muss her und die „Location“ unverwechselbar machen, am besten irgendwas mit Sex and Crime.

Man nehme also eine illustriertentiteltaugliche junge Frau, positioniere sie an einem ungewöhnlichen Ort und lasse Männer auf sie los. Den Rest besorgen dann die Hormone. Und so bevölkert nun seit gut zweihundert Jahren eine Blondine, eine gewisse Lore, den 132 Meter hohen Ley, hochdeutsch Fels, zwischen den Sieben Jungfrauen und dem heiligen Goar. Ihr zentrales Betätigungsfeld wäre, so hört man allenthalben, die Haarpflege bei gleichzeitiger Ablenkung des nautischen Personals von seiner verantwortungsvollen Tätigkeit. „Ein Märchen aus uralten Zeiten“, sei dies, behauptete Heinrich Heine frech, obwohl er sicher wusste, dass sein Dichterkollege Brentano Vater und Hebamme dieser fast schon mythologischen Figur war. Wir glauben das heute gern, weil wir es glauben wollen und weil wir wie die Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts im Grunde unserer Herzen in einem etwa vier Millionen Jahre alten Felsen mehr sehen wollen als ein weinbauuntaugliches Verkehrshindernis. Darum also ist es am Rhein so schön! Oder gibt es doch noch andere Gründe? Das eingangs erwähnte Lied nennt eine ganze Reihe, die Mehrzahl aber bringt die Begeisterung für den deutschesten aller Ströme, den „Vater Rhein“, mit dem reichlichen Genuss alkoholhaltiger Erfrischungsgetränke in Verbindung und so lauten die Antworten in den beiden letzten Strophen:  

„Weil die Mädel fesch und fröhlich
trinkt der Bursch oft mehr als nötig.

Weil die alten Deutschen tranken,
bis sie still zu Boden sanken,
darum ist es am Rhein so schön!“

Copyright: © Photo Thomas Huth ; Ansichtskarte: © Sammlung Huth