Hingeguckt#20 – Wo der Denkmalpfleger in tiefe Depression verfällt…

Ihre Aufgabe im Mittelalter war es, unangenehme Besucher schon im Vorfeld von ihrer Visite abzubringen: die Wehrhöfe. Um Frankfurt lag ein regelrechter Kranz dieser Wehrhöfe, von denen meist nur ihre Namen wie Rebstockhof, Hellerhof, Günthersburg oder Kühhornshof überdauert haben. Entweder fielen sie dem auf Profitstreben dressierten Frankfurter Gemüt zum Opfer oder sie sind bis zur Unkenntlichkeit verbaut wie im Fall der Stallburg. Außerdem hat sie die ausufernde Stadt ihre Standorte längst städtebaulich in den Schwitzkasten genommen. 

Ein besonders krasses Beispiel ist der Rest der Riederhöfe, Frankfurts wohl traurigstes Baudenkmal. Ende des 12. Jahrhunderts finden sie sich erstmals in einer Urkunde, damals schenkte sie Kaiser Heinrich VI. dem Frankfurter Schultheißen Wolfram und seiner Gattin. Danach ging der stattliche Besitz durch viele Hände bis schließlich das Hospital zum Heiligen Geist das mittlerweile auf vier Höfe angewachsene Gut an sich bringen konnte. Immer wieder gab es Ärger mit den übergriffigen Hanauer Grafen, die eine ganze eigene Philosophie vom Verlauf der Grenze ihrer Grafschaft mit der Reichstadt Frankfurt entwickelt hatten. Der biologische Abbau des Grafenhauses durch das „Erlöschen im Mannesstamm“ im Jahr 1736 setzte dem schließlich ein Ende. Die Bedeutung für die Verteidigung der Reichsstadt war mittlerweile angesichts moderner Massenheere und durchschlagskräftiger Feuerwaffen ohnehin mit null zu veranschlagen und so sanken die Höfe zu bloßen Wirtschaftsobjekten herab. 1797 fiel die Kapelle der Höfe der Spitzhacke zum Opfer. Sie hatte über Jahrzehnte das schwere Verbrechen der völligen wirtschaftlichen Nutzlosigkeit begangen – auf so ein Delikt steht in Frankfurt gewöhnlich die Todesstrafe. Verloren hat die Stadt damit ein erlesen schönes Bauwerk der Romanik, zusammen mit der Saalhofkapelle war es das ältestes Architekturzeugnis Frankfurts. 1900 gingen die Höfe dann in den Besitz der Stadt Frankfurt über und wurden damit endgültig zur „Dispositionsmasse“. Heute zerschneidet die Hanauer Landstraße das Gelände der Höfe und das einstige, im Kern noch romanische Herrenhaus wurde nach Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg mitleidlos abgerissen. Es war der älteste bezeugte Profanbau der Stadt und seinetwegen hatte man noch im frühen 20. Jahrhundert sogar die Hanauer Landstraße in ihrer neuen Trassenführung leicht abknicken lassen.

Riederhof 1880

An seiner Stelle erhebt sich heute ein Neubau im zeitlosen Stil einer Schichttorte aus Beton, ein eher charmefreies Gebilde, das möglicherweise im Reisenden auf der nahe vorbeiführenden A 661 Zweifel aufkeimen lässt, ob ein Besuch der dahinterliegenden Stadt ein schönes Erlebnis sein könnte. Gewisse Spuren von Verwahrlosung überdeckt seit einiger Zeit ein riesiges Mural auf dem Gebäude mit dem schönen Titel „Ménage à trois“. Ein Cowboy ringt mit der Urgewalt eines Rindviehs, packt es bei den Hörnern, ein Pferd folgt im vollen Lauf. Guido Zimmermann hat das monumentale Werk geschaffen – vielleicht sogar als augenzwinkernde Reminiszenz an einstige Ochsengespanne. Es ist ein grandioser Blickfang, leider, denn es wird einem den Abschied von dem einfallslosen Bau des Geschäftshauses wieder etwas schwerer machen. Und inmitten dieses städtebaulichen Niemandslandes, zwischen Autobahnauffahrt, Fußgängertunnels, Verkehrskreisel, Gewerbebauten, Parkplätzen und Industriegleisen steht der letzte Rest einstiger Wehrhofherrlichkeit in Gestalt eines ebenso eleganten wie wehrhaften mittelalterlichen Torbogens. Ein kleiner Erker über dem Tor erinnert daran, dass man sich ungebetener Gäste zu erwehren wusste. Ihn ziert zwar eine Taube, das Wappen des Hospitals zum Heiligen Geist, aber dem Angreifer von einst war klar, dass sich dahinter kein Taubenschlag verbirgt und er hier mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Pech haben wird. Im wahren Wortsinn.

Frankfurt am Main: Portal des Großen Riederhofs etwa 1880
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