Hingeguckt #21 -„Weißt du, wieviel Sternlein stehen …
… an dem blauen Himmelszelt“, fragt ein Kinderlied, vielleicht in der Hoffnung, dass aus dem oft allergiegeplagten Nachwuchs später einmal international beachtete Größen in Astronomie oder Astrophysik werden könnte, wenn nur früh genug Interesse geweckt wird. Im weiteren Text aus der Feder eines evangelischen Pfarrers in Thüringen heißt es dann allerdings, nur Gott allein wisse, wie viele es sind – vielleicht der dezente Hinweis doch lieber ein Theologiestudium zu beginnen.
Im Gegensatz dazu sind die Sterne auf unserem Foto auch ohne Theologie-, Mathematik- oder Astronomiestudium leicht zählbar, prangen sie doch in überschaubarer Anzahl nicht am Himmelszelt, sondern an der Kuppelwölbung des Mausoleums der Familie Gans auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. 1909 erteilte Friedrich Ludwig Gans, Mitbesitzer der „Frankfurter Anilinfarbenfabrik Gans & Co“, den Auftrag, eine repräsentative Grabstätte für die Familie zu planen. Hierzu bemühte man den Städelprofessor Hausmann, der mit seinem Vorrat an künstlerischer Orginalität sehr haushälterisch umzugehen wusste und einfach den berühmten Tempietto von Donato Bramante in Rom kopierte. Das über vierhundert Jahre ältere römische Vorbild steht in einem von monumentalen Gebäuden gefassten Hof und kann sich gegen diese übermächtige Konkurrenz dank seiner ausgewogenen Proportionen behaupten. Auf Frankfurts Hauptfriedhof dagegen ist der späte Zwilling konkurrenzloser Blickfang am Ende einer Alle vor dem Hintergrund dunklen Grüns. Eine Inszenierung, die ihre Wirkung nicht verfehlt, und leider zugleich eine, die in der in künstlerischen Dingen viel zu oft kleingeistigen Stadt der Großbürger viel zu selten zu finden ist. Im Inneren, nur fahl durch Fenster mit dünnen Alabasterscheiben ausgeleuchtet, zieht der Sternenhimmel in der Kuppel sofort die Blicke auf sich und befreit von der Erdenschwere einer Begräbnisstätte.
Apropos Begräbnisstätte: als der Frankfurter Hauptfriedhof 1828 eröffnet wurde, gehörte er mit der Grundidee ein „melancholischer Garten“ zu sein zwar zu den modernsten Anlagen seiner Art in Deutschland, war aber bei den wohlhabenderen Bürgern als letzte Ruhestätte nicht sonderlich beliebt. Die Stadt hatte wohl geahnt, dass gerade die alteingessenen Patrizierfamilien an ihren repräsentativen Erbbegräbnissen auf dem innerstädtische Petersfriedhof hängen würden, und daher mit der Errichtung einer Gruftenhalle nach dem Vorbild eines italienische Campo Santo ein Angebot für das luxuriösere Warten auf die Auferstehung gemacht, aber die Begeisterung dafür hielt sich in Grenzen. Noch 1881 standen viele Grüfte in der 176 Meter langen Halle leer, weil sich viele „… lieber in dem schönen Garten begraben lassen, als daß sie in den Steingrüften langsam vermodern und Verwesungsgerüche verbreiten, die namentlich, während der Beisetzung neuer Leichen, von der Leichenbegleitung oft auf das Unangenehmste empfunden werden.“ Es war natürlich sehr rücksichtsvoll von diesen Leichen, dass sie nicht zu einer olfaktorischen Belästigung werden wollten, aber bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Gruftenhalle dann doch leidlich gefüllt und wurde zur Walhalla für den Frankfurter Geldadel, zu dem die Bankiersfamilien Bethmann, Gontard, Neufville, Erlanger und vielen andere zählten. Vielleicht weil Geld ja bekanntlich nicht stinkt. Ein Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg und Vandalismus in den 1980er Jahren haben die Pracht zwar empfindlich geschmälert, aber dennoch ist die Gruftenhalle ein besonders eindrucksvolles Architekturensemble in einem nicht minder eindrucksvollen Friedhofsensemble, dessen gut 60.000 Grabstätten meist mehr über die Lebenden als über die Verstorbenen der Zeit von 1828 bis heute erzählen.