Alljährlich lädt die Städelschule zum Rundgang durch die Ateliers ein. Die Schüler können bei dieser Gelegenheit zeigen, ob ihre Lehrer etwas taugen oder nicht. Das war auch in diesem Jahr im frostigen Februar wieder der Fall und lockte zahlreiches, fast ausschließlich junges Publikum in diese Weihestätte künstlerischen Schaffens. Ebenfalls wie in jedem Jahr wurde auch in diesem jedem etwas geboten, gleich ob man sich für Traditionelles in Bunt auf Leinwand begeistert oder sich von Installationen neue Perspektiven aufzeigen lassen möchte. Die ein oder andere objektgewordene Denksportaufgabe war auch wieder mit am Start und in nicht wenigen Fällen beschrieb Karl Valentins Ausspruch „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ treffend. Aber eines war in diesem Jahr anders: das interessanteste, facettenreichste und originellste Kunstwerk war als solches gar nicht gekennzeichnet und wurde vom Gros der Besucher daher leider gar nicht als Kunstwerk erkannt. Da haben die Nachwuchskünstler dem nach überwiegender selbsteinschätzungkenntnisreichen Publikum ein schönes Schnippchen geschlagen! Großartig! 

Es handelte sich um die Objektserie „Schaffensprozess I bis VII“. 

S I – Ein großartiges Objekt! Die Angst vor dem Ausbleiben einer Idee, eines Gestaltungsimpulses, ist selten so eindringlich visualisiert worden.

Leere ergreift auch von dem Betrachter Besitz.

S II – Verworfene Pläne, Frustration über künstlerische Sackgassen, erste Hinweise auf die Einnahme stimulierender Erfrischungsgetränke.

S III – Ein weiterer Höhepunkt! Dieses sorgfältig komponierte Objekt enthüllt die schier grenzenlose Anspannung im Ringen um die Inspiration. Flasche und Glas passen nicht zusammen. Fotos einer vielleicht nahestehenden Person liegen wie zufällig auf einem Wischtuch – sollen Erinnerungen weggewischt oder eine Beziehung „gereinigt“ werden? Der Beckenablauf ist bewusst unverschlossen, die Möglichkeit des Verrinnens wird offengehalten. Nur oberflächliche Naturelle können unbetroffen den Blick abwenden.

S IV – Ein Grauschleier legt sich auf den Schaffensprozess. Droht das endgültige Scheitern? Ist Katharsis möglich? Man blickt in Abgründe.

S V – Ein neuer Anlauf. Scheinbar wahllos verteilte Gegenstände erlauben dem Betrachter, eine eigene Geschichte zu erzählen. Wahre Kunst lebt von Mehrdeutigkeit. So kann, so muss es gelingen. Und der politische Aspekt? Natürlich: heimische Apfelschorle – Nachhaltigkeit und Konzentration auf das eigene Umfeld. Das ist eine Botschaft, die wachrüttelt. Und formal exzellent geglückt ist, wie die Dinge den Raum im Becken neu definieren.

S VI – Endlich der Durchbruch! Mineralwasser (aus der Rhön – ein Biosphärenreservat wird angezapft!), Kaffee (nicht aus der Rhön – Monokultur, Fairtrade?), Wein(vielleicht bald aus der Rhön – Klimawandel!) auf der einen Seite, ein Blumenarrangement (Zwangsprostitution der Natur, der Gärtner als Zuhälter, wir Kunden als Freier) auf der anderen Seite zeigen erschütternd das zerrüttete Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Was dem Menschen ein Lebensmittel ist, bedeutet für das Lebensmittel den Tod. Und das Ganze in einem Waschbecken, einem Symbol für Reinheit und Reinigung. Das ist nicht zu toppen!

S VII – Ja, auch das ist erlaubt in der Kunst und warum soll man es nicht zeigen: die ausgelassene Freude über das Gelingen eines Werkes, um das so gerungen wurde, das so viel existenzielles Befragen gefordert hat, Fragen aufwarf, die statt einfacher betäubender Antworten neue Fragen gebaren. Da darf auch mal gefeiert werden. Aber, Achtung, nicht zu wild – das meint augenzwinkernd der Feuerlöscher. Wir empfehlen den Besuch des nächsten Atelierrundgangs 2024 zwingend!