Jeder, der Frankfurt offenen Auges durchwandert, stellt immer wieder fest, das einzig Unveränderliche in dieser Stadt ist das Veränderliche. Das klingt wie eine dieser typischen modernen Wehklagen über den Verlust des Gewohnten, den Verlust einer Zeit, die die gute alte gewesen ist. Wann könnte die in Frankfurt wohl gewesen sein? – Die Antwort ist egal ob man sie 1950, 1750 oder 1550 stellt immer gleich: früher! Einer der sich diesem Thema intensiv gewidmet hat, ist der Frankfurter Fotograf Carl Friedrich Mylius, der zu den wichtigen deutschen Fotopionieren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt. Er gab um 1880 eine Sammelmappe mit dem Titel „Frankfurt in der guten alten Zeit“ heraus, also sah auch er die Gegenwart nicht als die „gute Zeit“ an, was nicht so sehr verwundert, schritt er doch selbst schon auf das sechzigste Lebensjahr zu, und er wird wohl mit dem Verlust der „guten alten Zeit“ wie die meisten, die davon sprechen, den Verlust der eigenen Jugendzeit gemeint haben und nicht eine bestimmte bessere Epoche. Zu unserem großen Glück hat er aber auch seine Zeit in Fotografien eingefangen, vielleicht ahnend, dass sie nachfolgenden Generationen mal als die gute alte Zeit gelten wird. Sieht man seine zwischen 1854 und 1890 entstandenen Fotografien markanter Punkte des Stadtbildes wie etwa die Straßen rund um die Hauptwache, den Römerberg oder die Mainfront, dann wird mehr als deutlich, dass gerade eine Stadt wie Frankfurt sehr viele „Häutungen“ hinter sich hat und selbst die überkommenen historischen Bauten, die heute ein bisschen wie nostalgische Inseln in einem stürmischen kalten Gegenwartsozean wirken, in jeder Generation mit einer anderen Erinnerung aufgeladen worden sind. Mylius‘ eindrucksvolle Schwarzweißaufnahmen dieser einst stolzen Stadtrepublik wohlhabender Bürger, die sich vor seinen Augen in eine moderne Großstadt in der preußischen Provinz verwandelt, sind ein ebenso künstlerisch wie historisch bedeutendes Denkmal des alten Frankfurt.
Wie einschneidend die Veränderungen sind, mögen zwei Vergleichsansichtspaare illustrieren:


Das erste Beispiel zeigt einen der besonders krassen Brüche im Frankfurter Erscheinungsbild. Die Neue Mainzer Straße, schon zu Mylius Zeiten liebevoll „Bankenklamm“ genannt, war im 19. Jahrhundert eine Straße der reichen Oberschicht, der Privatbanken und mit dem „Städel“ auch eine Straße der Kunst.
Die Fassaden bezeugten in ihrer Zurückhaltung ein für das alte Frankfurt typisches Understatement.
Heute dagegen wachsen hier Hochhäuser in schwindelnde Höhen empor und die Straße mit ihren vielen Fahrspuren ist zweifellos Frankfurts Innenstadtstraße mit der geringsten Aufenthaltsqualität. Im Knick der Straße mühen sich gegenwärtig Kräne mit der Aufzucht des Central Business Tower.


Hauptwache und Zeil sind seit dem 18. Jahrhundert die wichtigsten Straßenräume Frankfurts. Zu Mylius Zeiten begann sich die Zeil von einer vornehmen Palais- und Hotelstraße in eine Kaufhausstraße zu verwandeln. Er hält ein letztes Mal diese Szenerie fest, indem er den Blick von Westen über den Schillerplatz mit dem Schillerdenkmal auf die noch zurückhaltenden Fassaden der Zeil Richtung Konstablerwache schweifen lässt. Das Ganze hat beinahe die Anmutung eines Kurortes.
Heute ist der Schillerplatz einem „Loch“, das Pendler und Einkaufsbummler in die unergründlichen Tiefen von S- und U-Bahn einsaugt, gewichen und der Blick gleitet über Zeil-Fassaden im Stil einer international austauschbaren Gewinnmaximierungsarchitektur.
Wie sich die gute alte Zeit an diesem zentralen Punkt des Frankfurter Stadtlebens angefühlt haben könnte, zeigen abschließend zwei Ansichtskartenmotive aus meiner Sammlung:


… und denken Sie immer daran: heute ist die gute alte Zeit von morgen!
PS: Die Werke von Carl Friedrich Mylius lassen sich bis 1. Juni 2025 in der Ausstellung „Frankfurt forever“ bewundern.